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Researching

Kollaborative Intelligenz. Reallabor Hagenmarkt

Reallabor Hagenmarkt

Um eine Transformation hin zu zukunftsfähigen und solidarischen Lebensweisen zu bewerkstelligen, bedarf es dringend einer verstärkten Verschneidung unterschiedlicher Wissens- und Gesellschaftsbereiche. Zwar sind Fragen der Nachhaltigkeit in den Natur- und Ingenieurswissenschaften sowie der industriellen Technologie-Entwicklung seit Jahren tief verankert. Ebenso durchdringen in den Geistes- und Sozialwissenschaften kritische Perspektiven auf den Neo-Liberalismus, Neo-Kolonialismus und Anthropozentrismus so gut wie alle Diskursfelder. Und in der Breite der Bevölkerung ist spätestens seit Fridays for Futures oder Extinction Rebellion (inklusive einer teils vehementen Abwehr solcher Bewegungen) die Notwendigkeit eines tiefgreifenden sozial-ökologischen Wandels ein Thema von Belang. Berichte und Ausstellungen über ‘gelebte Utopien’, über Initiativen und Praxen rund um den Globus erlangen zunehmende Aufmerksamkeit, die man als Formen des Widerstands gegen unsolidarische und nicht nachhaltige Lebensweisen bezeichnen kann.

Jedoch verbleiben die hier jeweils produzierten Erkenntnisse und Ansätze – so lautet unsere Ausgangsthese – zu sehr in ihren durch Arbeitsteilung entstandenen Bereichen, um sich wirksam mit der unmittelbaren Lebenswelt zu verbinden. Dem zu begegnen bedeutet zum einen, ihre Eigenlogiken zu hinterfragen, zum Anderen eine Verständigung darüber zu führen, welchen Sachargumenten Priorität einzuräumen ist und welche Konsequenzen aus dem erarbeiteten Wissen zu ziehen sind. Dies ist nur von einem Standort aus zu leisten, der demokratisch verhandelt werden muss. Denn es ist keine rein wissenschaftliche Frage, welche Veränderungen in der (Re-)Produktion von Raum vollzogen werden müssen, um auf unserem ‚beschädigten Planeten‘ (Haraway 2016) möglichst gut und zugleich verantwortungsvoll zusammen zu leben. Das heißt: wie die zivilisatorischen Errungenschaften, die auch dezidierte Ziele des europäischen Projektes sind – etwa Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheiten und gerechte Teilhabe an natürlichen, kollektiven und immateriellen Ressourcen in demokratischen, pluralistischen Gesellschaften – erhalten und weiter ausgebaut werden können, während gleichzeitig diejenigen Praktiken und Wertsetzungen identifiziert und ausgesetzt/transformiert werden, die für die Beschädigung unserer Lebenswelt verantwortlich sind. Deshalb bezeichnen wir unser Reallabor als Möglichkeitsraum für kollaborative Intelligenz. Kollaborativ im Hinblick sowohl auf das Miteinander verschiedenster Akteure als auch im Hinblick auf die Verschränkung zweckrationaler, ethisch-sozialer und politischer Intelligenz. Denn in der produktiven Konfrontation der Expertisen und Futurologien kann das komplexe Ineinandergreifen individuellen Handelns, alternativen Arten des Wirtschaftens und eines zukunftsfähigen Umbaus politischer Institutionen erfahrbar und die gemeinsame Nutzung von Ansätzen und Methoden ermöglicht werden, die zur Bewältigung der skizzierten Zukunftsfragen zu entwickeln sind.

Die Möglichkeiten zu dieser Transformation von einer “imperialen” zu einer solidarischen Lebensweise (I.L.A. Kollektiv, 2017) werden in den Nachhaltigkeitswissenschaften, in den Raumdisziplinen, aber z.B. auch in der Kunst gegenwärtig unter Stichworten wie Suffizienz und Resilienz diskutiert, nicht zuletzt um die etablierten, vorwiegend technologisch und betriebswirtschaftlich geprägten Konzepte von Sustainability oder Mainstream-Trends wie dem Smart City-Konzept kritisch zu hinterfragen (Watson 2019). Denn deren Fixierung auf Effizienz und ein eng-materialistisch gefasster Ressourcen-Begriff simplifizieren die intrikaten Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsweisen, Weltanschauungen und Alltagspraxis, die gerade in ihrer Komplexität die Lebenswirklichkeit derer bestimmen, die Nachhaltigkeit umsetzen sollen. Oder partiell erfolgreiche Lösungen werden aus Kontexten dorthin exportiert, wo sie nicht wirksam sein können oder sogar ‘Rebound’-Effekte produzieren (Colding/Barthel 2017). Aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht kann so argumentiert werden, dass andere, umfassendere Ansätze für die (Re-)Produktion von Raum notwendig sind, die Konzepte von Fürsorge und Verantwortung einführen, und die Differenzierungen einer rein klimatologisch verstandenen Erd-Atmosphäre im Hinblick auf soziale und ökologische Gerechtigkeit, Gleichheit und Inklusion einführen (Ostrom 1990, Linz 2012, Bloom 2015, Gibson/Rose/Fincher 2015, Borowy/Schmelzer 2017).

Vor allem im Suffizienz-Diskurs geht es darum, nachhaltige Lebensstile von einem oft nur Abwehr hervorrufenden ökologischen Moralismus zu befreien und sie als Steigerung der Lebensqualität vorstellbar zu machen. Gemeint ist damit allgemein die bewusste Einschränkung im Verbrauch derjenigen Ressourcen, deren größtmöglicher Umsatz in einer Wachstumsgesellschaft angestrebt wird. Der Ressourcenbegriff kann jedoch auch anders verstanden werden als durch die Wachstums- und Verbrauchsperspektive, etwa in Bezug auf Gemeinschaffen, Fürsorge und andere immaterielle Güter (Gibson-Graham 2008, Stavrides 2016).

Neben die natur- und ingenieurswissenschaftliche Expertise, derer es bedarf, um auf der Grundlage verlässlicher Analysen und technologischer Innovationen Zukunftsszenarien sachlich zu informieren, treten daher die visionäre Expertise und die soziale Einbildungskraft z.B. von Künstler/innen, Designer/innen, und anderen Disziplinen des kritisch-spekulativen Entwerfens wie der Zukunftsforschung und des Transformation Design, um der Entwicklung von attraktiven und implementierbaren Zukunftsbildern Gestalt zu geben und sie damit kommunizierbar und zur Weiterentwicklung fähig zu machen. Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus die produktive Einbindung von Bürger/innen als Expert/innen ihres Alltags und ihrer Lebenspraxis. Denn wie die Idee eines „Neuen europäischen Bauhauses“ zeigt, die die EU-Kommissionspräsidentin im September 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt hat, hängt die Umsetzung des European Green Deal davon ab, dass er nicht nur ein technologisch-ökonomisches Projekt, sondern vor allem auch ein kulturelles Projekt wird. Und das bedeutet: Visionen und Innovationen müssen vorstellbar, akzeptiert und angeeignet werden, damit sie nachhaltig gelebte Wirklichkeit werden. Dies kann nur geschehen, wenn sie vorhandene Vorstellungen, Werte und Praktiken beachten und transformieren, sowie schon existierende Ansätze zur Suffizienz und Resilienz aufgreifen und kultivieren.

Das Ziel des Reallabors der kollaborativen Intelligenz ist demnach, einen Raum für die produktive, sich gegenseitig inspirierende Begegnung dieser drei Sphären des Wissens (Wissenschaft, visionäre Einbildungskraft und urbanes Praxiswissen) zu schaffen, nicht zuletzt auch um die Beziehung zwischen den dahinter stehenden gesellschaftlich-institutionellen Bereichen sichtbar zu machen und zu verstärken. Denn ebenso wie der zivilgesellschaftliche Diskurs innovative Impulse von wissenschaftlichen und kreativen Expert/innen aufnimmt, ist dieser Austausch auch für die Wissenschaftler/innen, Planer- und Entwerfer/innen von Bedeutung. Denn: “‘Experts’ are those who have trained themselves to see with a singular vision. [...] Only by excluding the public can knowledge be kept pure.” (Tsing 2006, S. 81) Diesen Purismus, so komplex er nach innen auch sein mag, mit lebensweltlichen, situierten Komplexitäten aufzumischen, ist ein Anliegen des Reallabors, das sich am Braunschweiger Hagenmarkt ansiedeln wird, - einem städtischen Raum, der sich zur Projektzeit in Transformation befindet.

Wir sind der Überzeugung, dass es parallel zur fortschreitenden Digitalisierung gerade solcher analoger Räume der Begegnung bedarf, um den Polarisierungen und Radikalisierungen der Weltanschauungen und der entsprechenden politischen Positionierungen, wie sie sich in den medialen Echoblasen reproduzieren, andere Erfahrungen der produktiven Konfrontation, des Voneinander-Lernens, der Kollaboration entgegen zu setzen. Gerade auch angesichts globaler Herausforderungen eignet sich dafür der Maßstab des Lokalen, des Lebensumfelds, denn hier besteht die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen, hier „kann erlebt werden, dass die eigenen Wünsche Berechtigung haben, kann Gegebenes in Frage gestellt und gemeinsam mit anderen um gute Lösungen gerungen werden" (Laimer 2020, S. 5).

Spaziergang. Von nicht-menschlichen Anderen lernen.

Bei einem Spaziergang an der Südseite des Bahnhofsviertels stellten wir ein etwas anderes Herbarium zusammen: gemeinsam beobachteten wir die Komplexität der Geschlechterbeziehungen im Pflanzenreich, die als Beispiel für eine diverse und inklusive Gesellschaft dienen könnte.

Videodokumentation:
https://doi.org/10.24355/dbbs....

Workshop. Wie viel ist genug?

Eine kollektive Open-Air-Reparatursession und ein Gespräch über Konsum. Am Beispiel der Kleidung und der Modeindustrie versuchten wir, das richtige Maß zu definieren. Wie viel brauchen wir wirklich? Wie viel können wir uns leisten?


Videodokumentation:
https://doi.org/10.24355/dbbs....

Fahrradtour. Sorge um die Entsorgung

Auf dem Weg vom ALBA Abfallentsorgungszentrum in Watenbüttel bis zur Schachtanlage Asse II diskutierten wir über Verantwortung. Wer kümmert sich um die Entsorgung der Reste unseres Lebensstils? Wer trägt Sorge? Dabei geht es nicht nur um Atommüll, sondern um unsere alltäglichen Abfälle.

Videodokumentation:
https://doi.org/10.24355/dbbs....

Finanzierung

MWK | Nieders. Vorab

Finanzierungszeitraum

April 2021 bis März 2022